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Zeitzeugenbericht Heinrich David Cohn

Zeitzeugenbericht-Heinrich-Cohn_Schiel

Euthanasie, Sterilisation und Aktion T4

Euthanasie, Zwangssterilisationen und Aktion T4 waren für die Stralsunder nicht so präsent wie die Aktionen und Schmähungen gegen Juden und Mischlinge. Das lag zum einen daran, dass sich die 1912 eröffnete Provinzialheilanstalt weit vor den Toren der Stadt befand und zum zweiten an dem Fakt, dass die betreffenden Aktionen innerhalb kurzer Zeit erfolgten.

Bereits im Juli 1933 war das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet worden, das die Möglichkeit einer zwangsweisen Sterilisation schuf und im Jahr 1934 wirksam wurde. In Stralsund wurden zwischen 1933 und 1939 372 Männer und 280 Frauen zur Sterilisation ins Städtische Krankenhaus eingewiesen. 3 von ihnen starben infolge der Operation. Die Verordnung zur Sterilisation erfolgte in zwei Dritteln der Fälle durch Ärzte der Heilanstalt; ein Drittel wurde durch den damaligen Stralsunder Amtsarzt eingewiesen.

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges war gleichzeitig der Startschuss für konkrete Planungen zur Vernichtung aller nicht in das Idealbild des Nationalsozialismus passenden Bürger. Die Grundlage bildete die Ermächtigung durch Hitler vom Oktober 1939, „die Befugnisse … zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranke bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“1

Damit begann eine systematisch durchgeführte Massenvernichtungsaktion, die nach der Adresse der organisatorischen Zentrale im Tiergarten 4 als Aktion „T4“ bekannt wurde. Während man im Tiergarten noch mit den organisatorischen Vorbereitungen beschäftigt war, schuf der Gauleiter von Pommern, Schwede-Coburg, bereits Fakten.

Kurz nach Kriegsbeginn bot er Heinrich Himmler, dem Reichsführer der SS, die Gebäude der Provinzialheilanstalt als Kasernen an. Nach dessen Zustimmung, erteilte er den Befehl, die zum Transport in das westpreußische Neustadt (Wejherowo) vorgesehenen Kranken an einem geeigneten Ort zu erschießen. Das Auswahlkriterium: die „übelsten Kranken“.

Die Heilanstalt war zu diesem Zeitpunkt mit 1.160 Patienten belegt. Die Räumung begann am 17.11.1939. Drei Transporte mit je 100 Patienten (je 50 Frauen und 50 Männer) verließen Stralsund, kamen aber nie an. Die als „Verlegung nach Westpr. Anstalt“ getarnten Transporte endeten für die Menschen mit der Erschießung in den Wäldern von Piasnica bei Neustadt.

Bis Mitte Dezember 1939 folgten weitere sieben Transporte, bei denen 355 Personen (169 Männer und 186 Frauen) in die Anstalt Lauenburg, 226 (116 Männer und 110 Frauen) nach Ueckermünde und 279 (129 Männer und 150 Frauen) nach Treptow an der Rega kamen. Lauenburg folgte 1940 dem Stralsunder Beispiel. Nur gingen jetzt die Transporte in den Reichsgau Wartheland und die Betroffenen wurden vergast, nicht erschossen. Das gleiche Schicksal traf die Patienten der Heilanstalt Treptow a.R. Ledigich in Ueckermünde überlebten 10 Stralsunder Patienten die erste Euthanasie-Welle, weil sie auf einem Gut untergebracht oder in Familien gepflegt wurden.

Stralsund war Ende 1939 die erste geräumte Anstalt in Deutschland und übergab ihre Gebäude zur Nutzung an die Waffen-SS. Die im Frühjahr und Sommer 1940 anlaufende Aktion „T4“ war für Stralsund schon nicht mehr wirklich relevant.

Eine zweite Euthanasie-Welle begann im Spätsommer 1942, nachdem Hitler die Aktion „T4“ aufgrund des zunehmenden Protestes der Kirchen und unter der Bevölkerung im August 1941 stoppen musste. Diese zweite Planung forderte noch mehr Opfer als die gezielte Tötung bei der Aktion „T4“. Die Methoden und Täter hatten sich gewandelt, gemordet wurde jetzt innerhalb der Anstaltsmauern durch das Personal. Vorsätzlich herbeigeführte Erschöpfungszustände, Überdosierungen von Schmerz- und Betäubungsmitteln und chronische Unterernährung bei forciertem Arbeitseinsatz führten zu einer kontinuierlich hohen monatlichen Sterblichkeitsrate in den Einrichtungen, ohne dass dies in der Öffentlichkeit registriert wurde oder jemand Anstoß daran nahm. Die zweite Euthanasie-Welle traf Stralsund nicht mehr. Die ehemalige Heilanstalt wurde bis Kriegsende von der SS und das Marinelazarett genutzt.

1 Der Text und die Zahlenangaben basieren auf dem Artikel “Zwangssterilisation und Euthanasie in Pommern” von Dr. Armbruster und Prof. Dr. Freyberger, in: Trauma&Gewalt, 8. Jahrgang, Heft 4/201

Die Lubliner Judenliste

Unter der Bezeichnung “Lubliner Judenliste” wird die Deportationsliste der ersten, am 12. und am 13. Februar 1940 im Regierungsbezirk Stettin durchgeführten Deportation Pommerscher Juden mit dem Ziel Piaski, Belzyce und Glusk, zusammengefasst. Die Deportationsliste wies 1107 Namen auf. Eine ausführliche Schilderung dieser Deportation findet sich bei Wolfgang Wilhelmus “Die Lubliner Judenliste”, veröffentlicht in: Zeitgeschichte Regional, Sonderheft 3, Hrsg. Geschichtswerkstatt Rostock e.V., 2009.

Lubliner-Judenliste

„Fabrikaktion“ und „Rosenstraße-Protest“

Zwischen 1934 und 1939 verließen mehr als die Hälfte der Stralsunder Juden* die Stadt und siedelten in deutsche Großstädte über bzw. gingen ins Ausland. Bei den in Deutschland bleibenden Stralsunder Juden handelte es sich nach jetzigem Erkenntnisstand in erster Linie um Einzelpersonen (Amalie Wagner, Else Michael, Max Philipsborn), in „priveligierter Mischehe“ lebenden Männern (Carl-Philipp Blach, Paul Samuel Blach, Friedrich Blach, Fritz Löwenstein, ) und Minderjährigen (Werner Hirsch, Oskar Löwenstein de Witt).

Da sie durch den Bevölkerungszensus von 1933 im Deutschen Reich erfasst waren, wurden sie seit 1938 systematisch zur Zwangsarbeit herangezogen. Im Februar 1943 verhaftete die Gestapo diese Gruppe jüdischer Personen. Unter ihnen befanden sich aus Stralsund: Carl-Philipp Blach, Fritz und Oskar Löwenstein de Witt, Werner Hirsch.

Der nachfolgend zitierte Artikel zeigt die Hintergründe, den Verlauf und die Lösung dieser Protestaktion auf.
http://www.berlin-judentum.de/denkmal/rosenstrasse.htm , 08.02.2021, Frauenprotest in der Rosenstrasse – 27. Februar 1943: Mythos und Wirklichkeit der “Fabrikaktion”.

Am Samstag den 27. Februar 1943 wurden einige tausend Juden, die noch als Zwangsarbeiter – meist in Rüstungsbetrieben – eingesetzt waren, an ihren Arbeitsplätzen verhaftet (daher auch die Bezeichnung “Fabrik-Aktion”). Sie sollten durch polnische Zwangsarbeiter (sogenannte “Ostarbeiter”) ersetzt werden und wurden auf Lastwagen getrieben und in unterschiedliche Sammellager gebracht. Diejenigen unter ihnen, die mit nicht-jüdischen Partnern verheiratet waren – also in sogenannten “Mischehen” lebten – oder auch Jugendliche, die einen jüdischen Elternteil hatten und auch ab dem 14. Lebensjahr Zwangsarbeit leisten mußten, wurden in das Verwaltungsgebäude in der Rosenstrasse gebracht.

Die nicht-jüdischen Partner – überwiegend Frauen – erfuhren auf unterschiedlichen Wegen von der Gefangennahme ihrer Partner bzw. Kinder. Sie kamen in die Rosenstraße um sich über deren Verbleib zu informieren, Brotpäckchen zu hinterlassen … Daraus entwickelte sich ein einwöchiger Protest. Selbst als Maschinengewehre aufgebaut wurden, konnte dies die Frauen nicht veranlassen, ihren Widerstand zu beenden. Nach einer Woche wurden die Gefangenen aus der Rosenstraße freigelassen.

* Das heißt in diesem Fall: in Stralsund geborenen Juden.

Brief Guido Fraenkels betreffs Zuordnung eines Zwangsnamens (Abschrift)

Abschrift-Brief-Guido-Fraenkel

Quelle: Stadtarchiv_Stralsund, Rep. 18, Nr. 440

Aktionsjuden

Der Begriff „Aktionsjuden“ bezieht sich auf die Juden, die nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 durch Polizei und NSDAP verhaftet und größtenteils in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald gebracht wurden. Der Begriff bezieht sich auf die „Aktion Rath“, einen Namen, den der Pogrom in Anspielung an seinen Anlass – das Attentat auf den deutschen Diplomaten vom Rath – erhielt. Am 16. November 1938 endeten die Verhaftungen. 

Das Ziel dieser Aktion war die Einschüchterung von Familienvorständen, besonders wohlhabender jüdischer Familien, um sie zur Auswanderung und zum schnellstmöglichen, deshalb unter Wert, Verkauf ihres Besitzes zu veranlassen. Auf diese Weise sollte die „Arisierung“ , d.h. die Zwangsenteignung jüdischer Geschäfte und jüdischen Besitzes vorbereitet und beschleunigt werden.

Für Stralsund ist die Inhaftierung von circa 24 Personen bekannt: u.a. Gerhard und Felix Gerson, Gustav Zimmerspitz, Martin, Max, Hugo und Siegbert Cohn, Eugen Liebenthal, Max Israel und Luise Kotljarski, Simon Lemke, Salomon und Pinkus Paul Eckdisch, Josef Rotenberg und seine Familie, Isidor Lewkowitz, Friedrich-Wilhelm Philipsborn. 

Die Frauen und die Kinder wurden bereits am nächsten Tag auf Befehl wieder entlassen. Am 16. November 1938 durften auch Kranke und die über Sechzigjährigen nach Hause. 

Im Falle der Stralsunder Juden wurden alle restlichen in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Man schätzt die Gesamtzahl aller zu diesem Zeitpunkt in Sachsenhausen internierten Aktionsjuden auf 6.000. Nicht alle in Sachsenhausen internierten Juden überlebten. 80 bis 90 von ihnen starben durch Suizid, Krankheit, Erschöpfung und Unterernährung. Von den Stralsunder Juden war keiner unter diesen Toten. 

Die große Masse der Verhafteten kam bis zum Jahresanfang 1939 wieder frei. Am 01. Januar 1939 gab es in Sachsenhausen noch 958 inhaftierte „Aktionsjuden“. Befehle regelten die stufenweise Freilassung der Gefangenen. Am 28. November 1938 durften die unter sechzehnjährigen Jugendlichen nach Hause; ab dem 12. Dezember 1938 dann die über Fünfzigjährigen und kurz vor Weihnachten die jüdischen Lehrer. Wer dem Druck nicht standhielt, seinen Besitz verkaufte, sich zur Scheidung von seinem nichtjüdischen Ehepartner verpflichtete, bereits ein Ausreisevisum besaß oder seine Ausreise arrangierte, hatte große Chancen, sofort frei zu kommen. Aber eine Gewissheit über das eigene Schicksal bestand nie. Das änderte sich auch nach der Haftentlassung nicht mehr. Für viele waren besonders die Spätfolgen der Haft gravierend. 

Das Massaker im Garten des Jüdischen Krankenhauses Budapest

(Zitiert nach: Regina Fritz, Eine frühe Dokumentation des Holocaust in Ungarn. Die »Untersuchungskommission zur Erforschung und Bekanntmachung der von den Nationalsozialisten und Pfeilkreuzlern verübten Verbrechen« (1945), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 14 (2017), H. 2, URL: https://zeithistorische-forschungen.de/2-2017/5496, DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok.4.974, Druckausgabe: S. 352-368., abgerufen am 28.01.2021)

Am 12. April 1945, acht Tage nachdem die letzten deutschen Truppen ungarisches Staatsgebiet verlassen hatten, erschien Frau S. In den Räumlichkeiten der kurz zuvor gegründeten „Untersuchungskommission zur Erforschung und Bekanntmachung der von den Nationalsozialisten und Pfeilkreuzlern verübten Verbrechen“. Sie gab ein Gewaltverbrechen zu Protokoll, welches sich drei Monate vorher im Jüdischen Krankenhaus in der Budapester Maros-Straße ereignet hatte: „Am 12. Januar 1945 erschienen Pfeilkreuzler im Krankenhaus, verstellten die Ausgänge und sammelten die Kranken, die Ärzte und das Personal in der Eingangshalle im Erdgeschoss zusammen. Zuerst haben sie uns alle Wertgegenstände abgenommen, danach mussten sich die Frauen und Männer bis auf die Unterwäsche ausziehen. Wer zu sprechen wagte, wurde mit einem Gummiknüppel geschlagen. Eine alte Frau um die 90 hörte schlecht und verstand die Befehle der Pfeilkreuzler nicht. Sie wurde an den Haaren hergeschleift. Danach mussten wir uns hinknien, unsere Arme hinter dem Kopf verschränken. […] Anschließend wurden wir paarweise in den Hof geführt […]. Dann begannen die Hinrichtungen paarweise[…] Die Hinrichtungen fanden gegenüber der Küche, neben der Senkgrube, vor dem Schuppen statt.“ Dass Frau S. überleben konnte, verdankte sie einer Täuschung: Es gelang ihr, die Pfeilkreuzler davon zu überzeugen, dass sie keine Jüdin sei. Auch der Umstand, dass sie einen drei Monate alten Säugling bei sich hatte, dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass die Täter sie verschonten, während der Großteil der restlichen Patientinnen und Patienten sowie Angehörige des Krankenhauspersonals (insgesamt mehr als 90 Personen) umgebracht wurden.

Über diese Mordaktion, eines der größten Massaker, die kurz vor Kriegsende in der ungarischen Hauptstadt von Pfeilkreuzlern aus dem Parteilokal im 12. Bezirk verübt wurden, sammelte die „Verbrechens-Kommission“ seit Anfang April 1945 Aussagen. Sie war bestrebt, nicht nur den Ablauf der Ereignisse genau zu rekonstruieren, sondern auch jenen Ort zu identifizieren, an dem die Opfer des Gewaltverbrechens verscharrt worden waren. Die Hinweise von Frau S. und anderen Zeugen bzw. Überlebenden des Massakers waren schließlich ausschlaggebend dafür, dass die Exhumierungen im Garten des Krankenhauses im Beisein des Vizebürgermeisters von Budapest, von Angehörigen, Ärzten, Vertretern ungarischer und sowjetischer Behörden, darunter Mitgliedern der „Verbrechens-Kommission“ und in Anwesenheit eines Teils jener Pfeilkreuzler, die für die Morde verantwortlich gemacht wurden, am 23. April 1945 beginnen konnten: „Aus dem Massengrab kamen 84 Leichen zum Vorschein, und zwar 40 Männer und 44 Frauen. Im Rahmen der Identifizierung wurde der Großteil von seinen Angehörigen erkannt“, berichtete am 26. April 1945 einer der Mitarbeiter der Kommission.

Brief Guido Fraenkel an den Oberbürgermeister betreffs Zwangsname

Brief-Guido-Fraenkel-bezueglich-Zwangsname0001

Quelle_Stadtarchiv Stralsund, Rep. 18, Nr. 440

Bericht über den Verkauf der jüdischen Betriebe von Max Cassel und Josef Rotenberg, August 1938

Quelle: Stadtarchiv_Stralsund, Rep. 18, Nr. 433

Brief Regina Pila an Oberbürgermeister betreffs Verkauf Frankenstraße 81

Quelle_Stadtarchiv Stralsund, Rep. 24, Nr. 4588