Vorname Gustav/Gershon
Nachname Zimmerspitz
Geburtsname
Geburtsdatum 07.06.1885
Geburtsort Lapernow (Österreich/Ungarn), heute Lapanów, Polen
Wohnort(e)
  • Stralsund, Frankenstraße 39
Beruf Kaufmann Lederwaren und Schuhhandel
Geschäftsadresse Stralsund, Tribseer Straße 14
Familienstand verheiratet
Verwandschaftsverhältnis Ehemann von Dora Pufeles (1886-1979), Vater von Alexander (geb. 1918), Kurt (1922-2013) und Harry (1926-1997)
Deportation keine, Flucht nach Argentinien 1938, Überlebender
Todesdatum 1941
Sterbeort Beunos Aires, Argentinien

Gustav Zimmerspitz und Familie

Gustav1 Zimmerspitz wurde am 7. Juni 1885 in Lapernow/Lapanów, im heutigen Polen als Sohn des jüdischen Kaufmanns Siegmund/Szaja Zimmerspitz und seiner Ehefrau Frieda/Freidel Gottlieb geboren. Er war das jüngste von drei Kindern des Ehepaares.

Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er den Beruf eines Schuhmachers und heiratete -wahrscheinlich 1917- die 1886 im heutigen Gdów, Polen geborene Jüdin Dora Pufeles. Beide zogen nach Stralsund, wo seit 1904 seine ältere Schwester Gustel/Gittel (1884-1935) mit ihrem Ehemann Hermann Kirsch (geb. 1879) lebte. 1918 kam in Stralsund der älteste Sohn von Gustav und Dora Zimmerspitz, Alexander, zur Welt. Ihm folgten 1922 Kurt und 1926 Harry, der nach seiner Emigration den Namen hispanisierte (Enrique).

Gustav Zimmerspitz begann, Fischerstiefel herzustellen und in Stralsund zu verkaufen. Einige Jahre später spezialisierte er sich auf den Lederhandel, betrieb aber auch weiterhin sein Schuhwarengeschäft.

Gustav und Dora Zimmerspitz waren Mitglieder der Stralsunder Synagogengemeinde. Besonders Dora achtete sehr auf die Einhaltung der Gebote der jüdischen Religion und auf eine koschere Ernährung zu Hause.

Vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war die Familie gut integriert in die Stadtgemeinschaft; Gustav pflegte Kontakte auch zu Nicht-Juden, unter ihnen einem höheren Polizeibeamten, der zur Bar-Mizwa2 des ältesten Sohnes Alexander als Gast geladen war. Ihm verdankte es die Familie später, dass ihre Reisepässe beizeiten fertig waren und sie ausreisen konnten.

Der Aprilboykott von 1933 traf nicht nur das Geschäft von Gustav Zimmerspitz. Auch er selbst wurde an diesem Tag zusammengeschlagen und erlitt in der Folge einen Herzinfarkt. Ungeachtet dieser Erfahrung blieb Gustav Zimmerspitz bei seiner pazifistischen und abwartenden Haltung gegenüber den Nationalsozialisten3. Erst die Geschehnisse4 der “Reichskristallnacht” brachten später eine Wende.

Das Geschäft von Gustav wurde auf den Listen der Stadtverwaltung als „volljüdisches Geschäft“ geführt und dementsprechend gekennzeichnet. Für die Abwicklung des Geschäftes setzte die Stadt den Bücherrevisor Erich Fischer ein und da Zimmerspitzens sich bereits abgemeldet hatten, wurde auch noch ein Abwesenheitspfleger5 bestellt, der sich um den Verkauf der verbliebenen Reste des Hausstandes kümmerte. Die Abwicklung des Geschäftes zog sich hin und wurde erst im Januar 1940 als beendet gemeldet. Die Familie war zu diesem Zeitpunkt bereits in Argentinien angelangt.

Die Zäsur für Gustav in seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus war der Tag nach der „Reichskristallnacht“. Nach der Nachricht von den Verwüstungen in seinem Geschäft eilte Gustav dorthin und wurde noch vor seinem Geschäft durch die Polizei verhaftet. Als Dora davon erfuhr, wurde sie auf dem Polizeirevier vorstellig und verwies auf den labilen Gesundheitszustand ihres Mannes. Dies und wahrscheinlich die Tatsache, dass sie den Namen des behandelnden Hausarztes, eines bekannten Vertrauensarztes der SS in der Stadt, ins Feld führte, bewirkte die Freilassung von Gustav. In der gleichen Nacht führten ungefähr 30 Uniformierte in ihrer Wohnung eine Durchsuchung durch. Die Familie Zimmerspitz blieb verschont von weiteren Zerstörungen, aber eine andere jüdische Familie in der Straße nicht6.

In dieser Nacht beschloss Gustav, mit seiner Familie Deutschland zu verlassen: als Zielland wurde Argentinien ausgesucht, Visa wurden beantragt, ebenso Transitvisa für Paraguay, Uruguay und Bolivien. Container mit Möbeln und anderen wichtigen Dingen gingen auf die Reise. Am 24.12.1938 verließen sie Deutschland und gingen über die Grenze nach Frankreich: in Cannes bestiegen sie das italienische Schiff “La Conte Grande”, das nach Uruguay fuhr und sie nach Paraguay bringen sollte. Noch während der Fahrt wurde bekannt, dass der die Paraguay-Visa ausstellende Honorarkonsul in Paris sich selbst in die Taschen gewirtschaftet hatte und die Visa für ungültig erklärt worden waren. In dieser Situation wollte der Schiffseigner diejenigen der 300 Juden an Bord, die mit diesen Visa reisten, wieder nach Deutschland7 bringen. Es kam aber nicht dazu, weil das uruguayische Parlament in dieser Nacht beschloss, alle mit Transitvisum und ohne Weiterreisemöglichkeit einreisenden Flüchtlinge aufzunehmen. Gustav Zimmerspitz und Familie gingen in Concepción von Bord und reisten von dort weiter zu ihren Verwandten nach Argentinien.

Die Familie ließ sich in der argentinischen Hauptstadt nieder. Kurt erlernte das Handwerk seines Vaters, begann zuhause mit der Herstellung von Lederjacken, die er dann sofort verkaufte. Später mietete er einen Laden und machte einen Großhandel mit Lederjacken auf. Harry/Enrique erlernte den Beruf eines Uhrmachers und Juweliers, arbeitete anfangs im Schaufenster von Kurts Geschäft, das dieser für das Tagesgeschäft nicht benötigte und konnte nach einiger Zeit einen eigenen Laden eröffnen.

Gustav Zimmerspitz starb 1941 in Buenos Aires. Seine Frau Dora am 21. Mai 1979, ebenfalls in Buenos Aires. Ihre Enkel leben heute in Israel, Deutschland und Argentinien.

Quellen:

  1. Interview mit Kurt Zimmerspitz, ID 22415, aufgenommen am 5. November 1996 in Buenos Aires, Argentinien, USC Shoah Foundation, New York, https://sfi.usc.edu, abgerufen am 12. und 13. Februar 2022
  2. Wohnungsanzeiger Stralsund 1900-1941
  3. Stadtarchiv Stralsund, Rep. 18 Nr. 432, 435, 440, 436, 439
  4. Stadtarchiv Stralsund, Rep. 29, Nr. 137
  5. Briefe ehemaliger Stralsunder Juden an Eberhard Schiel, Privatsammlung Eberhard Schiel

1 Erscheint auch mit dem hebräischen Namen Gershon.
2 Die Bar-Mizwa, bei Mädchen Bat-Mizwa, bezeichnet in der jüdischen Religion die religiöse Mündigkeit. Während Jungen sie im Alter von dreizehn Jahren erreichen, wird sie für Mädchen bereits mit zwölf Jahren angegeben.
3 Er folgte hierbei der Haltung vieler in der “Reichsvertretung der deutschen Juden” zusammengefasster jüdischer Organisationen und Kultusgemeinden.
4 vgl. dazu: Quelle 4)
5 Auch in diesem Fall war es der Bücherrevisor Otto Bliefert.
6 vgl. dazu Quelle 1), Tape 2, 11:30-12:32 min
7 Die Passagiere hatten bei Ticketbuchung sowohl Hin- als auch Rückreise kaufen müssen.