Vorname Heinrich David
Nachname Cohn
Geburtsname
Geburtsdatum 20.12.1900
Geburtsort Stralsund
Wohnort(e)
  • Stralsund, Ossenreyerstraße 21/22
  • Berlin
Beruf Kaufmann, Herrenbekleidung
Geschäftsadresse "Max Keibel Nachfl.", Ossenreyerstraße 21/22, Stralsund
Familienstand verheiratet
Verwandschaftsverhältnis Ehemann von Lucie Gentzen (1905-1953), Vater von Bärbel Beyer-Cohn
Deportation keine, Überlebender
Todesdatum 25.08.1961
Sterbeort Berlin

Heinrich David Cohn und Familie

Heinrich David Cohn wurde am 29. Dezember 1900 als zweiter Sohn des Textilkaufmanns Siegfried Cohn (1862-1902) und der Martha Bianca, geb. Kempinski (1859-1927) in Stralsund geboren. Seine Geschwister waren: Fritz Adolf Wolf Cohn (1899-1943), Charlotte Lesser (1897-1942) und Ernst Nathan Cohn (1902-1974).

Wie schon sein älterer Bruder Fritz besuchte auch Heinrich das Stralsunder Gymnasium und erlernte nach dem Abitur den Beruf eines Textilkaufmannes. Von 1927 bis 1933 war er zusammen mit seinem Bruder Fritz Adolf Wolf Cohn Geschäftsführer des Familienunternehmens, eines Herrenbekleidungsgeschäftes, das in der Stralsunder Ossenreyerstraße 19/21 als das „Geschäft Keibel-Cohn Nachfl.1“ bekannt war.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 und dem Aprilboykott, der die Hetze, Diffamierung und Ausgrenzung der Juden im Wirtschaftsleben einläutete, wurde der Umbau der Unternehmensleitung beschlossen. Heinrich Cohn verließ die Firma und ging nach Holland. Dort konnte er jedoch nicht Fuß fassen und kehrte bald nach Stralsund zurück, wo er allerdings kein Wohnrecht mehr erhielt.

Am 9. Juli 1935 heiratete Heinrich die 1905 geborene Stralsunderin Luise Lucie Liesbeth Anna Maria Genzen, die Tochter eines sozialdemokratischen Schuhmachermeisters. Um Störungen der Hochzeit zu vermeiden, fand die standesamtliche Trauung in Berlin statt. Trotzdem schlug diese Hochzeit hohe Wellen, denn sie war die letzte Mischehe, die nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze überhaupt noch geschlossen wurde. Die Berichte führten zu Tumulten in Stralsund und Heinrich Cohn wurde nach seiner Rückkehr nach Stralsund in „Schutzhaft“ genommen. Nach seiner Entlassung suchte das Ehepaar den Schutz der Anonymität in Berlin. Heinrich Cohn fand dort Arbeit als Hausierer für eine jüdische Blindenanstalt; später wurde er zur Zwangsarbeit im Bau und in der Rüstungsindustrie verpflichtet.

Im Dezember 1936 wurde die Tochter Bärbel in Berlin geboren und in Steglitz evangelisch getauft. Die Ehe mit einer Nicht-Jüdin und die Tatsache, dass er seine Tochter nicht im jüdischen Glauben erzog, schützte Heinrich Cohn vor der Deportation. Auch einen Stern musste er nicht tragen. Der Zwangsname „Israel“ stand trotzdem auf seiner Lebensmittelkarte.

Lucie Cohn schickte Bärbel bei Erreichen des Schulalters nach Stralsund zu ihrer Mutter, Frau Genzen. Vor jeder Razzia, die bekannt wurde, brachte die Großmutter das Kind nach Brandshagen zu einem Bauern. Auf diese Weise überlebte Bärbel in der Illegalität den Zweiten Weltkrieg.

Nach einiger Zeit wurde auch Lucie Cohn, die bis dahin in einem kaufmännischen Beruf gearbeitet hatte, zur Zwangsarbeit in einer Pelzfabrik verpflichtet. In den letzten Kriegstagen gelang ihr – hochschwanger – in einem Sanitätszug die Flucht aus Berlin. Sie kehrte nach Stralsund zurück und brachte dort am 20. April 1945 die zweite Tochter zur Welt. Der Säugling starb jedoch an Unterernährung und mangelnder Versorgung, weil, so schreibt es Bärbel Beyer-Cohn, „…in der Klinik die Krankenschwestern sich aus Furcht vor den Russen vergifteten.“2

Heinrich Cohn, der in Berlin zurückgeblieben war, wurde von der Hauswartfrau an de SS verraten und verbrachte dann 3 Tage und Nächte zwischen den Fronten hinter einem zertrümmerten Hauseingang bevor er seiner Frau während der Kampfhandlungen, zu Fuß nach Stralsund folgen konnte. Seine zweite Tochter hat er nicht kennengelernt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bemühte sich Heinrich Cohn um die Rückgabe des Familiengeschäftes, die Neugründung einer Jüdischen Gemeinde in Stralsund und die Rückgabe des Synagogengrundstückes in der Langen Straße. Die Familie konnte eine Doppelhaushälfte im Carl-Heydemann-Ring 32 beziehen, die mit der Zeit zum Treffpunkt aller Stralsunder Juden wurde. Bis 1948 leitete er das ehemalige Kaufhaus Wertheim. Für die in Stralsund und in der weiteren Umgebung3 wieder ansässigen Juden organisierte er die Lebensmittelspenden des Joint4 und sonstige notwendige Unterstützung. Am 2. September 1948 gründete er die Jüdische Gemeinde Stralsund neu, diese hatte allerdings keinen Bestand, weil die russische Besatzungsmacht nur die Bildung einer Gemeinde in Schwerin erlaubte. Dazu kam, dass Heinrich von 1948 bis 1950 in einer leitenden Funktion im Schweriner Außenhandel arbeitete, wodurch seine Zeit stark eingeschränkt war.

1950 verließ Heinrich Cohn mit seiner Familie Stralsund endgültig. Er ging zurück nach Berlin, wo er die ersten Monate keine Arbeit fand und die Familie sich durch den Verkauf ihrer Möbel und Wertgegenstände am Leben erhalten musste. Lucie Cohn erwarb vom Geld ihrer Mutter einen Tabakladen, den sie ganztägig öffnete. Die Tochter Bärbel half gegen geringen Lohn in ihrer Freizeit außerhalb der Schule in einer Wäscherei. Auf diese Weise überlebte die Familie bis zum Mai 1953 als Heinrich Cohn von seinem 1951 erlittenen Schlaganfall genesen war und endlich wieder Arbeit fand.

Am 1. Oktober des gleichen Jahres verstarb Lucie Cohn in Berlin. Heinrich heiratete später ein zweites Mal. Er verstarb im September 1961 an einem Herzinfarkt. Ihre Tochter Bärbel erlernte den Beruf einer Großhandelskauffrau für Flachglas und Keramik und arbeitete nach ihrer Ausbildung lange Zeit im Entschädigungsamt des Berliner Senates. Sie heiratete 1955 in Berlin und lebt heute noch dort.

Quellen:

  1. Bärbel Beyer-Cohn: Familiengeschichte der Keibel-Cohns
  2. Stadtarchiv Stralsund, Rep. 18, Nr. 432, 440,
  3. Stadtarchiv Stralsund, Rep. 24, Nr.

1„Nachfl.“ bedeutet Nachfolger
2Vgl. dazu: Die Geschichte der Keibel-Cohns, aufgeschrieben von Bärbel Beyer-Cohn.
3D.h. Rügen, Greifswald, Barth, Anklam, Usedom,
4Der Joint ist das „American Jewish Joint Distribution Committee“, eine seit 1914 vor allem in Europa tätige Hilfsorganisation amerikanischer Juden mit Sitz in New York City.